Ich möch­te an die­ser Stel­le die Sicht eines hete­ro­se­xu­el­len Man­nes dar­stel­len, der die #Auf­schrei-Dis­kus­si­on von Anfang an mit­ver­folgt, aber die Trag­wei­te kom­plett unter­schätzt hat.

Der Pro­zess, den ich gera­de durch­lau­fe, lässt sich ein wenig an die Trau­er­pha­sen nach Vere­na Kast anleh­nen, wobei auch das nur ein wei­te­rer hilf­lo­ser Ver­such von mir ist, das Unmög­li­che in eine Struk­tur zu pres­sen, mit der ich arbei­ten kann.

1. Nicht-Wahrhaben-Wollen

Im ers­ten Moment konn­te ich es nicht glau­ben und woll­te es auch nicht. So geballt, wie ich die Tweets dar­ge­bo­ten bekam, wie die Dis­kus­si­on von heu­te auf mor­gen in den Blogs los­roll­te, das konn­te doch alles nicht wahr sein! Da stel­len sich doch vie­le ein­fach nur dar, wol­len im Mit­tel­punkt ste­hen! Das kön­nen unmög­lich alles tat­säch­li­che Erleb­nis­se sein! Ich habe das so noch nie mit­er­lebt, das kann nicht sein!

2. Aufbrechende Emotionen

Ich las sehr viel in den letz­ten Tagen und es hat mich schwer erschüt­tert. Fast alle Frau­en haben meh­re­re eige­ne Geschich­ten, eini­ge, die ich schon sehr lan­ge ken­ne, erzähl­ten Geschich­ten, die mein Welt­bild ins Wan­ken brach­ten. Ich war ver­wirrt, konn­te das nicht in Ein­klang mit mei­ner Rea­li­tät brin­gen. Zu der Ungläu­big­keit misch­te sich mehr und mehr Trau­rig­keit, aber auch ganz viel Hilf­lo­sig­keit und auch Wut. Wut, weil ich so lan­ge ahnungs­los war, weil ich nichts tun kann, weil ich glau­be, mich immer rich­tig ver­hal­ten zu haben und mich jetzt irgend­wie unschul­dig mit­schul­dig fühle.

3. Suchen und Sich-Trennen

Es ist schwer, sich von bis­he­ri­gen Welt­bil­dern zu lösen. Ich hin­ter­fra­ge mich selbst, was ich viel­leicht falsch gemacht haben könn­te und wann ich viel­leicht ein­fach auch mal zu pas­siv war, mei­nen Mund gehal­ten habe, obwohl ich ihn hät­te auf­rei­ßen sol­len. Ich ver­su­che, mir klar zu machen, dass die Ein­zel­fäl­le und unglück­li­chen Umstän­de, für die ich vie­les bis­her abge­tan habe, viel­leicht doch nicht so ein­zeln und harm­los waren. Und ich bin rat­los, was ich tun kann, damit Auf­schreie nicht mehr nötig sind.

4. Neuer Selbst- und Weltbezug

#Auf­schrei hat tat­säch­lich eini­ges bei mir bewegt. Ich bin noch dabei, die Stü­cke, in die ein Teil mei­nes Welt­bilds zer­bro­chen sind, zu etwas Neu­em zusam­men­zu­fü­gen. Vor­ges­tern hät­te ich noch nicht gedacht, dass das pas­sie­ren könn­te. Bit­te gebt mir noch ein wenig Zeit.

(Vie­len Dank all den Men­schen, die viel von sich preis­ge­ben müs­sen, um Leu­ten wie mir die Augen zu öff­nen. Beson­de­ren Dank an Sero­to­nic für den bis­her klügs­ten, aus­ge­gli­chens­ten und mir per­sön­lich am meis­ten nahe gehen­den Bei­trag, der mir von Pha­se 2 in Pha­se 3 gehol­fen hat.)

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8 Kommentare

  1. Ja. Geht mir, der ich mich immer für sehr inter­es­siert, femi­nis­tisch, für ’sowas-passiert-in-meiner-welt-nicht, für was­weiss ich gehal­ten habe sehr ähn­lich. Die Wucht des­sen, was da pas­siert ist immens.

    Vor­hin auf der Stra­ße habe ich - wie ich es immer tue - jeman­den ange­lä­chelt; es war zufäl­lig eine Frau.
    Sie hat den Kopf ein­ge­zo­gen und ist einen Schritt schnel­ler gegan­gen und ich habe mich fürch­ter­lich erschrocken.

    • Vor­hin auf der Stra­ße habe ich - wie ich es immer tue - jeman­den ange­lä­chelt; es war zufäl­lig eine Frau.
      Sie hat den Kopf ein­ge­zo­gen und ist einen Schritt schnel­ler gegan­gen und ich habe mich fürch­ter­lich erschrocken.“

      Das fin­de ich aber sehr scha­de, wenn es in die Rich­tung geht, dass wir uns auf der Stra­ße nicht mehr anlä­cheln können...
      Es geht hier ja um sexu­el­le Beläs­ti­gung, sprich um sexu­el­le Abwer­tung und Ernied­ri­gung und nicht um lieb gemein­te, schen­ken­de Gesten.
      Nur ist das lei­der so, wenn man als Frau schon mehr­mals sexu­ell beläs­tigt wur­de, dann legt man sich irgend­wie auch ein Pan­zer zu. So stumpft man ab und man bekommt es nicht mehr so zu spü­ren. Lei­der wer­den damit auch wohl­wol­len­de Ges­ten igno­riert oder abgestoßen...
      Das ist sehr schade!

      • Das fin­de ich aber sehr scha­de, wenn es in die Rich­tung geht, dass wir uns auf der Stra­ße nicht mehr anlä­cheln können…

        Nein, es geht nicht in die Rich­tung, son­dern es ist trau­ri­ge Realität.
        Und ich wür­de mir sehr wün­schen, dass es in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung geht. dar­um mag ich den #auf­schrei

  2. Ja, auch mich erschrickt die­se Debat­te, emp­fin­de ich doch in vie­lem ähn­li­ches wie die Frau Serotonic.
    Ich schei­ne aber wirk­lich jemand der weni­gen Men­schen zu sein, der sol­che Geschich­ten wirk­lich noch nicht - oder fast nicht -pas­siert sind.
    Mitt­ler­wei­le habe ich die The­se, dass dar­an mei­ne katho­li­sche Privatschul-Erziehung Schuld trägt.
    Der Wert der Jung­fräu­lich­keit saß bei mir der­ma­ßen tief, dass ich früh gro­ße Anten­nen dafür ent­wi­ckelt habe, dass mir ein Mann nicht in „sol­cher Wei­se“ nahe kommt.

    Wie sehr ich aber ein Ver­mei­den und Weg­lau­fen ver­in­ner­licht habe, wird mir erst so gera­de klar.
    Erzählt mir doch neu­lich mein Phy­sio­the­ra­peut, dass er am liebs­ten nachts joggt. Und gleich­zei­tig sagen wir „Das könn­te ich ja nie!“ und „Das kön­nen Sie als Frau natür­lich nicht!“

    Ja, #Auf­schrei ist schon aufwühlend.

  3. Selbst als Frau war ich erschro­cken, ich hab wohl Glück gehabt. Das macht es umso wich­ti­ger, dass man auf­merk­sa­mer wird, sei­ne eige­nen Hand­lun­gen ändert (in mei­nem Fall: öfter dar­auf hin­wei­sen, wenn ich etwas pro­ble­ma­tisch fin­de) und sei­ne Umge­bung genau­er beobachtet.

    Ich freue mich über die posi­ti­ven und unauf­ge­reg­ten Reak­tio­nen sowohl von Män­nern als auch von Frau­en. Hys­te­rie steht der Debat­te nicht, aber ich glau­be, die Initi­al­wel­le war wich­tig, weil es deut­lich gezeigt hat, wie vie­le betrof­fen sind. Ich hat­te als Frau auch nicht das Gefühl, dass Män­ner ver­teu­felt wür­den, aller­dings ste­he ich da ja auch zwangs­läu­fig auf der ande­ren Sei­te und weiß, dass, wenn ich sage, mir ist a, b und c pas­siert, dass das eine Hand­voll Idio­ten waren und dass das nicht der Mann an sich ist.

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