„Ich wünsche mir Frieden auf der Welt“, sagte Charlotte.
„Frieden. Den kann es nicht geben, der Mensch ist nicht friedlich, er ist ein schlecht gelaunter Olm, dem ständig etwas nicht passt. Der Mensch ist egoistisch und grob, ihn interessiert nur sein eigenes Wohl und neidet seinem Nachbarn jede Kleinigkeit. Freunde werden zu Feinden, Feinde von Feinden zu Freunden und am Ende kämpft jeder gegen jeden.“
„Das ist Unsinn, Paul. Es gab friedliche Phasen in der Geschichte der Menschheit und es wird sie wieder geben. Das ist meine tiefste Überzeugung.“
„Falls es tatsächlich irgendwann einmal friedliche Phasen gegeben haben sollte – und wer weiß das schon, das ist doch eine reine Mutmaßung –, dann wohl nur deshalb, weil niemand mitgekriegt hat, was sein Nachbar hat“, sagte Paul.
„Du meinst, ein Grund dafür, dass seit Jahrzehnten ständig irgendwo Krieg herrscht, ist der Tatsache geschuldet, dass Menschen mehr voneinander wissen als früher?“, fragte Charlotte nach.
„Nun, es liegt zumindest auf der Hand, dass man nur auf etwas neidisch sein kann, das man kennt. Solange eine arme Gruppe von Menschen nur wusste, dass alle um sie herum genauso arm sind, waren sie zufrieden. Jetzt aber wissen sie, dass es Gegenden auf der Erde gibt, in denen Menschen in Saus und Braus leben.“
Charlotte verengte ihren Blick: „Das ist doch Unsinn! Kriege werden nicht von armen Menschen geführt. Kriege werden von reichen Menschen geführt, die noch reicher werden wollen. Arme Menschen können es sich gar nicht leisten, zu kämpfen. Oder wie willst du mir Bangladesch erklären? Ruanda? Die halbe Welt?“
„Schau dir doch mal an, was in Afrika passiert! Immer wieder Kriege –“
„Die durch reiche Nationen ausgelöst werden!“, unterbrach Charlotte Paul. „Es sind die Interessen der Industrienationen, die historisches und aktuelles Leid wesentlich begünstigt, wenn nicht sogar ausgelöst haben.“
„Als ob sie dann nicht einen anderen Grund gefunden hätten, sich an die Gurgel zu gehen“, sagte Paul halblaut.
„Was?“
„Ach, es ist so, ich bleibe dabei: Der Mensch ist nicht friedlich. Die Gründe, sich gegenseitig umzubringen, sind variabel: Religion, Macht, Geld, Liebe, Langeweile. Eines aber ist konstant in der Menschheitsgeschichte: Es hat immer Kriege gegeben. Es wird immer so bleiben, es wird nie aufhören.“
Charlotte begann sichtbar zu resignieren: „Vielleicht braucht es dann doch diesen großen, gemeinsamen Feind, damit die Menschheit sich vereint.“
„Jetzt komm’ mir nicht mit den Aliens!“, lachte Paul.
„Warum nicht? Es ist doch so: Wenn, wie du sagst, der Mensch zum Kriegen geboren ist, dann besteht die einzige Chance für Frieden darin, einen gemeinsamen Feind zu haben. Wer sollte das sein, wenn nicht Außerirdische?“
„Hm, lass mich überlegen.“ Pauls überdeutliches Schmunzeln machte deutlich, dass er nicht wirklich nachdenken musste. „Umweltzerstörung, Überbevölkerung, Gerechtigkeit – soll ich weitermachen?“
„Nicht hilfreich, Paul, nicht hilfreich. Du hast selbst gesagt, dass es immer Gründe geben wird, Krieg zu führen. Warum sollte auf einmal Gerechtigkeit für die ganze Welt ein Motiv sein, nicht mehr ins Feld zu ziehen? Glaubst du im Ernst, dass Reiche akzeptieren, ihr Vermögen mit den Armen zu teilen? Dass die Umweltzerstörung aufhört, wo sie doch gerade dabei ist, aus armen Ländern wohlhabende zu machen? Dass ausgerechnet eine wachsende Weltbevölkerung friedlicher miteinander umgeht?“
„Ja, das sage ich doch! Frieden auf der Welt ist eine Utopie.“
„Aber eine schöne. Und du sagtest, ich darf mir etwas wünschen.“
„Ich erfülle nur realistische Wünsche.“
„Dann wünsche ich, dass du mir jetzt noch einen Kaffee bestellst.“
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Machen wir uns nichts vor: Selbst wenn Aliens die Erde angreifen würden, gäbe es eine Gruppe von Menschen (oder vielleicht sogar ein paar), die versuchen würden mit ihnen zu paktieren, weil sie sich davon Vorteile erhoffen. Das Problem ist ja nicht nur, dass der Mensch nicht friedlich ist – er ist auch noch ein Opportunist vor dem Herrn.
Ja, das ist wahr.
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Sehr empfehlenswert.
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