Was für eine Tour. Ich war pünktlich um 10 Uhr bei der Aufnahme. Nach kurzem Check, ob ich’s wirklich bin, wurde ich zur Station 12 verwiesen. Leider hatte die zu, macht erst am 6. Januar wieder auf. Also auf gut Glück ein Stockwerk tiefer, auf den Schildern bei Station 10 stand auch etwas von HNO. Das war erfolgreich.
Ab dann begann das Warten. Zuerst im Wartezimmer zur Aufnahme in der Station. Vielleicht fünfzehn Minuten später dann erste Infos von einer überaus netten Schwester. Ich möchte an dieser Stelle gleich einmal festhalten, wie ausnahmslos nett und freundlich hier alle Bediensteten sind. Sie gibt mir einen Laufzettel und einen Stapel von Papier, den ich mir „zwischendurch“ einmal durchlesen soll. Das schaffe ich kaum, denn die erste Station ist gleich einmal ein alter, russischer Arzt mit Hang zum Geschlechtervergleich. Weil ich mich aber tapfer beim Blutabnehmen anstelle, scheint er mit meiner Rolle zufrieden zu sein.
Anschließend wurde mir mein neues Zuhause für die nächsten Tage gezeigt. Im mittleren Bett lag ein Mann, der so aussah, wie ich wohl morgen aussehen werde, dessen Operation also noch nicht lange vorbei war und der ab und zu schnarchte. Das linke Bett war leer, rechts klaffte eine Lücke, in die noch ein Bett für mich geschoben werden sollte. Ich stellte meine Taschen ab und schloss die Goldbarren in das Safe genannte Holzkästchen im Schrank.
Gleich danach wurde mehrere Fotos von mir geschossen; von vorne, von unten, von der Seite, lasziv liegend mit aufgeknöpften Hemd. Danach ging es weiter zur ersten und einzigen lustigen Untersuchung heute. Mir wurde erst links, dann rechts das Nase verstöpselt und eine Maske aufgesetzt. Ich sollte durch das jeweils verbleibende Nasenloch atmen. Ihr kennt noch mein Röntgenbild von gestern, ja? Als das linke Nasenloch zu war, bin ich fast in Ohnmacht gefallen, denn es war schlicht nicht möglich, eine angemessene Menge Luft durch die rechte Öffnung zu erhalten.
Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es mittlerweile fast 11:30 Uhr war. Ab 11:30 Uhr hat die Anästhesie Sprechstunde, stand auf dem Umlaufzettel, der nächste und letzte Programmpunkt wäre dann nur noch 13 Uhr die Begutachtung durch den Oberarzt. Neben der 13 hatte die Schwester ein dickes, fettes Ausrufezeichen gesetzt und der Russenarzt sagte in seinem unvergleichlichen Akzent: „Selbst wenn Statzionn brennt, warten auf Obberarzt!“ Anderthalb Stunden, das ist doch wohl ‘n Klacks.
Im zweiten Stockwerk angekommen sieht man sofort: Hier ist Nummernziehung angesagt. Das Aufrufschild zeigte 49, ich zog 56. Sieben Leute, neunzig Minuten – rechnet es euch selbst aus, das war ja wohl kein Thema. Dachte ich jedenfalls, denn natürlich war Nummer 49 ein alter Raucher, der langwierig darüber aufgeklärt werden musste, dass man vor der Narkose besser nicht mehr raucht und der erst einmal von seinem Herzkatheter erzählte, obwohl ihm die Anästhesistin mehrfach darauf hinwies, dass das keine Rolle spiele. Warum ich das weiß? Ich saß neben der Tür und leise war in diesem Moment nur der Gang vor dem Zimmer.
Um 12:56 Uhr waren wir bei Nummer 52. Ich. Muss. Zum. Oberarzt. Und wenn ich dort ähnlich lang warten muss, dann komme ich zurück bei Nummer 70. Also tat ich das Naheliegende. Ich bot dem versammelten Publikum meine Nummer 56 gegen eine 60+ feil. Eine Mutter mit der Nummer 63 schlug sofort ein, ehe ihr Nachbar überhaupt verstanden hatte, worum es ging.
Ihr wisst, wie die Geschichte weitergeht. Ich war kurz vor 13 Uhr im vierten Stock, im Wartebereich für den Oberarzt, wurde direkt als Zweiter aufgerufen, die Untersuchung dauerte keine zwei Minuten und als ich wieder im zweiten Stock zurück war, wurde wenige Sekunden später meine ehemalige Nummer aufgerufen.
Egal, ich hatte ja eh nichts Besseres mehr vor. Die Stunde Wartezeit verging wie im Flug. Die Narkose-Schulung dauerte ungefähr drei Minuten. 150 Minuten Warten für drei Minuten Gespräch, das kennt man sonst nur so von der Papstaudienz.
Nach dem Gespräch war es etwa 14:30 Uhr und mein komplettes Tagesprogramm abgearbeitet. Ich ging also Richtung Zimmer und lieferte auf dem Weg noch meine Unterlagen bei den Schwestern ab. Bei der Gelegenheit fragte ich, ob man denn schon wisse, wann meine OP morgen sei. Ich wäre Nummer drei, vielleicht 10 Uhr, murmelte die eine Schwester, bevor ihr die andere über den Mund fuhr. Ich meinte nur: „Also schon morgens, ja?“ „Jaja.“ Ich bedankte mich artig und hörte beim Hinausgehen: „Mensch, wir sollen doch nicht mehr so genaue Angaben machen!“
Mir egal, das reicht mir um zu wissen, dass ich morgen nicht noch den halben Tag auf der Gemetzel warten muss, das würde ich nämlich nicht überleben. Mit diesem Wissen ging ich in mein Zimmer 449 (ich schreibe das mal auf, damit ich später nachschlagen kann, wenn ich es vergessen haben sollte). Dort lag jetzt nicht mehr nur der Mittelmann, immer noch friedlich vor sich hin schnarchend, sondern auch ein alter Mann, der mich fatal an Vater Red aus „Die wilden Siebziger“ erinnerte, nur zwanzig Jahre älter, aber mit dem gleichen freundlichen Gesichtsausdruck. Ich sagte erschrocken „Hallo!“, er sagte: nichts. Ich ging zu meinem frisch aufgestellten Bett und sah das bisher Schönste am heutigen Tag: Man hatte für mich vollkommen überraschend das Mittagessen auf den Nachttisch gestellt. Wahrscheinlich schon um 12 Uhr oder so, denn es war kalt; aber verdammt nochmal, es war auch echt lecker. Ein kleiner gemischter Salat im Schälchen zu Kartoffeln und Gemüsebratlingen an einer Sahnesauce, ich habe schon schlechter gegessen.
Während ich also so aß und peinlich genau darauf achtete, jedes wie auch immer geartete Geräusch zu vermeiden, um Red nicht zu belästigen, brach die türkische Flut über das Zimmer herein. Die Frau, drei Söhne und eine Tochter des Mittelmanns traten ein, redeten alle gleichzeitig und durcheinander auf den armen Kerl ein, der sich bis vor ein paar Sekunden noch von seiner Narkose erholt hatte. Ich verstand kein einziges Wort, denn Patient und Besucher hatten Türkisch als Default-Sprache gesetzt. Als Papa über Druck im linken Auge klagte, drückte der älteste Sohn – nach Rücksprache mit Red („Wissen Sie, wie man die Schwester rufen kann?“ „JA DANN DRÜCK DOCH EINFACH AUF DEN ROTEN KNOPP!“) – auf Alarm. Für mich beruhigend: Fünf Sekunden später war die Schwester im Zimmer. Leider nicht die hellste Kerze auf der Krankenhaustorte, denn sie beruhigte ihren Notfallpatienten mit: „Das kann ja ei-gent-lich nicht sein.“ (Etwas Türkisches. Sohn übersetzt:) „Aber er hat Schmerzen, kann man da nichts tun?“ „Das ist vollkommen normal.“ „…“ „Ich rufe mal den Doktor.“ „Danke.“ Wenig später kam eine andere Schwester und reicht Augensalbe. „Das ist vollkommen normal.“
Ach, was freue ich mich auf morgen.
Meine Freude ob der Lautstärke und dem Trubel um mich herum ist kaum abgeklungen, da wird die Tür wieder aufgerissen: „Herr X, Sie werden auf ein Zweibettzimmer verlegt!“ „Wie? Jetzt? Wie viel Zeit habe ich noch?“ (Nicht mehr viel, wollte ich im Ton des Paten einklinken.) „Packen Sie einfach Ihre Sachen zusammen, wir holen Sie dann gleich ab.“ Binnen weniger Minuten wurde Red durch einen Jugendlichen ersetzt, der im Schlepptau mit seinem Vater kam.
Die türkische Familie ist wenig später gegangen, der Sohnemann hat sich in sein Bett gelegt. Jetzt höre ich nur noch das einvernehmliche Schnarchen eines Mannes und eines Jugendlichen. Das ist mir tausendmal lieber als der Trubel davor. Ich bin gespannt, wie es weiter geht.
[…] Tag 1: Einweisung – 1ppm von Johannes Mirus […]
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