Schon lange stecke ich in einem Zwiespalt. Ich bin total für Gleichberechtigung, so wurde ich erzogen und so versuche ich zu leben. Jedoch endet die Gleichberechtigung meistens in meiner Schriftsprache. Es liegt an meiner Gewohnheit und meinem Willen, für Lesefluss zu sorgen. An der Gewohnheit kann ich arbeiten, über den Rest müssen wir reden.
Bestandsaufnahme
Eigentlich müsste man ja schreiben, wie Politiker sprechen. Bei denen gibt es Bürgerinnen und Bürger, Wählerinnen und Wähler, Lehrerinnen und Lehrer. Förderlich für die Schriftsprache ist das allerdings nicht. Es ist lang und umständlich und lenkt mehr Aufmerksamkeit auf das Subjekt des Satzes, als es vielleicht verdient hat. In manchen Reden dauert die Begrüßung länger als der Inhalt. Im Geschriebenen könnte man verkürzen, von Bürgerinnen/Bürgern schreiben, aber abgesehen davon, dass ich sowieso schrägstrichophob bin, ist das weder von der Länge, noch optisch ein Gewinn. Zu recht vollkommen verpönt sind Schreibweisen wie „Bürger(innen)“ oder „Bürger/-innen“. Sie verkürzen die weibliche Form auf ein lästiges Anhängsel und degradieren sie damit mehr, als wenn man sie gleich wegließe.
Lange Zeit war das Binnen-I Mittel der Wahl. Die feministische Begründung, warum es nicht mehr okay ist, habe ich nicht so richtig verstanden. Ich weiß aber, dass Binnen-Is den Lesefluss stören und dazu auch noch gehörig verwirrend sind. Gerade bei serifenlosen Schriften liest man schließlich ein I gerne mal als L, und schon wird aus PolIn ein Polln, was immer das auch sein mag.
Derzeit ist der sogenannte Gender Gap en vogue, also die Verwendung eines Unterstrichs, beispielsweise bei Bürger_innen. Die Intention ist super, der Gender Gap lässt Raum zum Nachdenken und wird der männlichen wie der weiblichen Schreibweise am ehesten gerecht und lässt sogar noch für weder männliche, noch weibliche Geschlechterformen einen Platz. Aber ich stocke immer noch an jedem einzelnen Unterstrich. Er zerreißt einen Text – und das nicht nur optisch. In den vielen Jahren, in denen der Gender Gap mittlerweile Verbreitung gefunden hat und gerade in meiner Filter Bubble sehr häufig verwendet wird, konnte ich mich nicht daran gewöhnen und ärgere mich noch viel zu oft, weil ein eigentlich guter Text dadurch kaputt gemacht wird. Es hört ja nicht bei Bürger_innen auf. Das geht weiter zu Arzt_Ärztin und endet bei „man_frau“.
Die Alternative ist das an den Gender Gap angelehnte Sternchen („Bürger*innen“). Es zerreißt den Text nicht so sehr optisch, verstört mich aber aus einem ganz anderen Grund. Instinktiv schaue oder gar scrolle ich zum Ende des Textes, weil ich dort eine Fußnote erwarte. Sternchen stehen seit jeher für Anmerkungen, Fußnoten und Anderes, das nicht in den Text soll, dieser einen Stelle aber zugeordnet ist. Der Blick weg vom Text, die Unterbrechung des Leseflusses, ist daher lange antrainiert. Und sinnvoll, nebenbei bemerkt. Außerdem macht es überhaupt keinen Unterschied, ob ich am Unterstrich oder am Sternchen oder einem anderen Zeichen hängen bleibe. Tatsache ist: Ich bleibe hängen.
Bleibt nur noch der Einsatz von sogenannten Ersatzformulierungen. Für große Diskussionen sorgte unlängst ja die neue Verkehrsordnung, die die maskulinen Formen durch Partizipformen ersetzte. Aus Radfahrern wurden Rad Fahrende, aus Fußgängern zu Fuß Gehende. Der Ansatz ist gut, aber stilistisch ist es eine Katastrophe. Was für Gesetzestexte noch durchaus seine Berechtigung haben kann, ist in einem Roman unmöglich. Wer möchte schon statt eines Mörders von einem Mord Begehenden lesen? Auch für mich stellen das Internet Ausdruckende keine Alternative für Internetausdrucker dar.
Lösung gesucht
Was also tun, wenn man sowohl genderpolitisch korrekt arbeiten, als auch die Leserlichkeit bewahren möchte? Christian hat vor langer Zeit mal geschrieben, wie er das generische Maskulinum durch ein generisches Feminium ersetzte, also ausschließlich die weibliche Form verwendete. Das ist insofern ganz cool, weil damit auf einen gesellschaftlichen Missstand aufmerksam gemacht und dieses „In diesem Text wird durchgängig die männliche Form verwendet. Dies dient der Lesbarkeit und soll nicht diskriminieren“ auf den Kopf gestellt wird. Allerdings wird auf diese Weise der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.
Ich würde lügen, behauptete ich, das Problem nicht schon lange zu überdenken und mit verschiedenen Lösungen sympathisiert und dann wieder verworfen zu haben. Eine generelle Lösung, die sowohl meinem Gerechtigkeits-, als auch meinem ästhetischen Empfinden entspricht und dabei auch noch den Lesefluss nicht stört, habe ich nicht. Was ich aber fortan versuchen werde, ist, in jedem zweiten Beitrag auf 1ppm das generische Femininum zu verwenden, im Rest maskulin zu bleiben. Es ist ein Experiment, ich kalkuliere ein Scheitern mit ein. Einen Versuch ist es mir aber wert.
Gendergerechte Schreibweisen http://t.co/kzuHEbQ5cM
Mir ist das (schnuppe|schnuppin).
Langfristig wird das Problem dadurch gelöst, dass es nur noch eine Weltsprache mit Neutrum á la „the“ gibt, und fertig. Dann braucht man auch keine alte Sprachkultur mehr die man zweckentfremdet für politische bzw. kulturelle Intentionen.
Gedanklich kann ich das gut nachvollziehen. Es ist und bleibt schwierig. Vor einigen Tagen habe ich versucht, mich dem Thema zu nähern, mit ähnlichem Anspruch an mich selbst, aber einem etwas anderen Fokus: Das generische Femininum und die Notwendigkeit, über Dinge zu reden.
Interessanter Artikel und aus Piratensicht durchaus verständlich. Ein Glück, dass ich hier prinzipiell auf niemanden Rücksicht nehmen muss und die Form über den Inhalt stellen kann, ohne dass es mich Wählerstimmen kostet. ;)
Gendergerechte Schreibweisen http://t.co/trpKEo1rgR - Bin ich nun Leser, Leserin, LeserIn, Leser_in, Leser*in oder gar Lesende?
[...] Text wurde im generischen Femininum verfasst. Hier steht, wieso. Foto: (cc) larskflem via [...]
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