Es ist ein Trauerspiel, wie sehr sich der Bildungsstandort Deutschland nicht nur mit der Bildung schwer tut, sondern mit allem, was eine Abkehr vom Traditionellen, Althergebrachten ist. Was unsere Mütter und Väter in den Wirtschaftswunderjahren aufgebaut haben, weil sie Neuem gegenüber aufgeschlossen waren, weil sie bessere Produkte herstellten und erfanden als die Konkurrenz aus anderen Nationen, das wollen ebendiese sich heute in Rente befindlichen Bürgerinnen erhalten. Sie sind das Wahlvolk, das die Union in die Regierung hievte und dort wohl halten wird. Angela Merkel macht derweil nichts anderes, als die verbliebene Wirtschaftsmacht Deutschlands gegen allen Widerstand zu erhalten; unter Inkaufnahme, dabei sämtliche mühsam erarbeiteten Sympathien zu verspielen.
Die Liste an Innovationsbremsen ist lang. Sie fängt bei dem Abbau von Netzneutralität an, die der halbstaatliche Konzern Telekom durchsetzen möchte, und endet nicht beim verhinderten Ausbau von Breitbandanschlüssen. Die Internetwirtschaft wird massiv gebremst, junge, innovationsgetriebene Startups müssen ins Silicon Valley auswandern, wenn sie langfristigen Erfolg haben möchten.
Seit 1995 ist Digitalradio (DAB) in Deutschland verfügbar. Aber kaum einer nutzt es. Warum? Weil sich seit bald zwanzig Jahren keine der zuständigen Stellen bereiterklärt, die Technik voranzutreiben, Inhalte zu liefern, attraktive Produkte zu liefern, ergo: innovativ zu sein. Digitalradio bietet eine Fülle von Möglichkeiten, genutzt werden fast keine davon. DAB ist ein müder Abklatsch des analogen Rundfunks, wie er auch im Jahre 2013 noch in jedem Haushalt empfangen wird.
Ähnlich traurig ist die Geschichte des digitalen Behördenfunks. Seit Anfang der 1990-er Jahre arbeitet der Bund daran, den unsicheren, abhörbaren Funkverkehr von Polizei, Rettungsdiensten und anderen Behörden einzuführen. Immer wieder wurde der Start verschoben. Ich erinnere mich noch genau, wie uns im THW 2003 prophezeit wurde, dass spätestens zur Fußballweltmeisterschaft 2006 der Digitalfunk eingeführt würde. 2006 ist sieben Jahre her und noch immer werden sicherheitsrelevante Daten mit einer Technik gesendet, die Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde; während um uns herum schon die halbe Welt digital funkt.
Und so wie es bei Digitalradio oder -funk läuft, wird es auch dem Internet ergehen. Alle wissen, dass Netzneutralität, Breitbandanschlüsse und überhaupt ungehinderter Zugang zum Internet ein Grundrecht werden muss, dass dieser Zugang das Rückgrat für den zukünftigen Wirtschaftsstandort Deutschland bildet. Spätestens in ein paar Jahren, wenn wir nicht mehr wie die Weltmeister exportieren können, weil uns China diese Arbeit abnimmt und alle europäischen Abnehmer am Hungertuch nagen, werden wir bereuen, dass wir nicht die Zeichen der Zeit erkannten und der Internetwirtschaft Chancen und Möglichkeiten einräumten, sich in Europa, sich in Deutschland zu etablieren. Um das zu erreichen, müssten heute die Weichen gestellt werden. Die Netzneutralität müsste gesetzlich verankert werden, der Bund müsste die Hoheit über die Netzinfrastruktur zurückfordern und dafür sorgen, dass deutschlandweit mit Hochgeschwindigkeit ins Internet gegangen werden kann, auch unterwegs.
Gleichzeitig müssten sich die Bürgerinnen Deutschlands darauf einlassen, dass ein Innovationsstandort Deutschland auch bedeutet, dass sich Dinge ändern. Wir müssen wieder neugierig werden, neue Sachen ausprobieren. Mal nicht im Supermarkt bar bezahlen, sondern mit dem Smartphone. Überhaupt: ein Smartphone besitzen, darauf nicht nur Spiele und Whatsapp zu laden, sondern echte Nutzenbringer ausprobieren, das müssen wir.
Deutschland muss vom Noninnovationsstandort zum Innovationsstandort werden. Und zwar nicht irgendwann in der Zukunft, sondern heute.
Dieser Text wurde im generischen Femininum verfasst. Hier steht, wieso.
Foto: (cc) larskflem via photopin
Noninnovationsstandort Deutschland http://t.co/Phraj98947
@avbelow Nein, musst du nicht. Passt quasi nahtlos an meinen Artikel neulich: http://t.co/o1JAdihaAS
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