In meiner Blogroll hatte ich lange Zeit neben Nessys Blog notiert: „Frau Nessy kann schreiben.“ Heute steht da: „Alltägliches sehr famos geschildert.“ Mit diesen zwei Sätzen wäre Nessys Buch1 eigentlich auch schon komplett beschrieben. Denn auch wenn ein 300-Seiten-Buch ein ganz anderes Kaliber ist als ein 500-Zeichen-Blogeintrag, ist es genau diese Nessy, die da schreibt, die ich seit Jahren mit Feuereifer lese. Mit ihrer Geschichte, wie sie aus dem Sauerland in den Pott kommt und sich dort einlebt, wie sie die Ruhrgebietsmenschen kennen und lieben lernt, begeisterte sie mich derart, dass ich mich unlängst sogar darüber freute, dass die Bahnfahrt nach Hause wegen Stellwerksproblemen 45 Minuten länger dauerte. (Ja, richtig, das Buch war die letzten Wochen meine Feierabendbahnfahrtlektüre.)
Das Buch ist einfühlsam, aber nicht schmierig. Es ist melancholisch, aber nicht herzzerreißend. Witzig, aber nicht mariobarthesk. Frau Nessy gelingt es, so flüssig und mitreißend zu schreiben, dass man vollkommen in das Leben eintauchen kann, das sie da schildert. Alles geht ineinander über, nichts steht nur für sich und trotzdem verliert man zu keinem Augenblick die Übersicht. Schon lange nicht mehr habe ich so wenige Stellen in einem Buch markiert. Weil ich mich nicht entscheiden konnte, was besonders markierenswert wäre, weil man eigentlich alles markieren müsste, aber ich nicht einfach das komplette Buch anmalen kann. (Es ist mir trotzdem gelungen, ein paar Zitate herauszusuchen, siehe unten. Allerdings wirken die wirklich viel toller im Gesamtzusammenhang.)
Frau Nessys Superheldenkraft ist es, alles fein zu beobachten, jede Kleinigkeit, jedes Augenzwinkern und dafür dann auch noch so passende, bildhafte Beschreibungen zu finden, dass „Da gewöhnze dich dran“ schon alleine für die Wortwahl Standardlektüre für angehende Autoren sein sollte.
Ich kann das Buch uneingeschränkt empfehlen. Das ist keine Gefälligkeitsempfehlung oder durch die Verbundenheit mit einer Autorin entstanden, die ich schon seit Jahren lese. Nein, ich meine es vollkommen ernst: Kaufen Sie sich das Buch! (Gerne auch mit persönlicher Widmung direkt von der Autorin.)
★★★★★
Zitate (Spoiler Alert!)
Schnecke beugt sich vor und schlägt mir mit der Hand auf meinen nackten Oberschenkel, dass es klatscht. „Sauber!“, sagt sie und ruft in die Umkleide: „Habt ihr gehört? Nessy fängt bei uns an. Wir können jetzt wieder normal sein, rülpsen und pupsen!“ Sie macht ein Handfurzgeräusch. Aus verschiedenen Ecken kommt ein „Yeah“ und „Juhu“. Eine rülpst.
„Dann ham wa aufm Balkon geknutsch.“
„Nur geknutscht?“
„Auf’m Balkon schon.“
Vanessa Giese: Da gewöhnze dich dran: Wie ich mein Herz an den Pott verlor. rororo, 304 Seiten, 9,99 € (Kindle-Version: 9,99 €) ↩Mutter befühlt die Pantoffeln. „Schön sind sie ja.“
„Finde ich auch.“
„Findest du nicht?“
„Ich sagte: Fin-de ich auch!“ Jetzt ist nicht nur Unsaomma schwerhörig, sondern auch meine Mutter.
„Ach! Nicht.“
Was meint sie nur?
Mutter stemmt sich mit beiden Händen die Pantoffel in die Hüfte. „Redest du nicht mehr mit mir?“
„Doch. Es ist nur etwas anstrengend.“
„Dich zu gebären war auch anstrengend.“
Mein Favorit: „woanders ist auch scheiße“. Dieser Pott, immer das Herz am rechter Fleck. :-)
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