An einem Samstag saß ich alleine zuhause, natürlich am Computer, und klickte mich von Link zu Link. Im heute nicht mehr in dieser Form existenten Internetmagazin Dr. Web las ich vom neuen Trend „Weblog“, der natürlich aus den USA kam. Mich interessierte zuvorderst der technische Gedanke. Die ebenfalls nicht mehr existente Bloggingsoftware Greymatter musste auf dem eigenen Webspace installiert und mit Perl zum Laufen gebracht werden. Krasse Anforderungen für mich damals, aber ich hatte Zeit und noch nie Angst vor Herausforderungen. Um 15:14 Uhr meldete ich dann Vollzug: „So, lasst uns beginnen.“1
Was ich da begann, war ein Vorstoß in eine sehr kleine Gemeinde deutscher Weblogger/innen. Man begrüßte mich und in der Folge begrüßte ich ebenfalls alle Neu-Weblogger/innen. Wir kommentierten gegenseitig fleißig. Es entstanden Bekannt- und Freundschaften, Netzwerke, Geschäftsbeziehungen. Thomas Gigold feierte vor ein paar Monaten bereits sein Zwanzigjähriges und hat noch ein wenig mehr dazu erzählt, wie es damals war.2
Ich habe extrem viel gelernt und tue es noch immer. Dennoch hätte ich nie gedacht, zwei Jahrzehnte durchzuhalten. Zumal Bloggen schon lange nicht mehr in Mode ist. Die coolen Kids geben ihre Daten schon längst exklusiv den Anbietern sozialer Netzwerke. Als Inhalte-Ersteller kann ich nachvollziehen, warum man das macht. Es ist ja so viel einfacher, als Geld auszugeben und sich mit Webservern rumzuschlagen. Als Internetbastler und natürlich auch jemand, der schon viele Dienste kommen und gehen sah, ist es mir allerdings ein Rätsel, warum man die eigenen Daten nicht auf dem eigenen Webspace haben will.
Wie auch immer. Im Alter wird man starrsinnig und unflexibel, deshalb gehe ich davon aus, dass ich noch viele Jahre bloggen werde. Mal mehr, mal weniger; mal persönlicher, mal sachlicher; aber immer mit viel Freude am Veröffentlichen.
20 Dinge, die ich durch und beim Bloggen gelernt habe
Nach den ersten zwanzig Jahren kann ich ja mal zurückblicken. Was hat das Bloggen über all die Jahre mit mir gemacht? Was habe ich erreicht, gelernt, erfahren?
- Internetfreundschaften sind genauso gut wie Real-life-Freundschaften. Schon alleine, weil diese Trennung, die heutige Kids ja gar nicht mehr verstehen, schon vor zwanzig Jahren künstlich waren.
- Durch das Bloggen habe ich mir ein ganz tolles Netzwerk aufgebaut, das sich durch Social Media dann immer mehr erweiterte. Der größere Teil der Leute, die ich heute kenne, habe ich zuerst digital erlebt.
- Je mehr ich schreibe, desto mehr schreibe ich. Das Schwierigste ist der Anfang.
- Ich musste einen Rhythmus finden, um regelmäßig zu bloggen. Anfangs war das (mehrfach) täglich, später weniger, aber – nicht zuletzt durch mein Tagebuch – veröffentliche ich mindestens einmal pro Woche was. So komme ich gar nicht erst raus.
- Ich muss mich immer wieder motivieren. In manchen Phasen war das leicht durch viele Leser/innen. Manchmal ist es ermunterndes Feedback. Ab und zu auch eine Spende in Klein-Leas Sparschwein. Am nachhaltigsten ist meine Mitgliedschaft bei den Ironbloggern.
- Durch das Bloggen konnte ich Vieles ausprobieren und lernte bald, dass ich was mit dem Internet machen will. Es brauchte zwar noch ein paar Umwege, aber hier bin ich nun, Internet, und lebe von und mit dir.
- Durch das Bloggen habe ich ein persönliches Archiv, das mittlerweile mein halbes Leben umfasst. So oft konnte ich schon nachschlagen: Wann war das nochmal? Was habe ich gemacht? Mit wem?
- Man kann sogar mit langweiligem Privatkram Geld verdienen. Ich meine damit gar nicht, dass ich hier wild Banner oder Google-Anzeigen einbinde, genauso wenig bezahlte Beiträge – auch wenn ich eine Zeit lang ein paar Kröten dadurch machte. Ich meine damit Menschen, die durch mein Geschreibe zu echten Kund/innen meines Unternehmens wurden.
- Ich habe durch das Bloggen enorm viel über HTML, CSS, PHP und sogar ein wenig Javascript gelernt. Das Wissen brauchte man früher, um überhaupt anständig (auf dem eigenen Webspace) bloggen zu können. Ich bin zwar nicht mehr am Ball geblieben, aber das Basiswissen hilft mir noch heute fast jeden Tag.
- Überhaupt habe ich so viel über das Internet gelernt. Ich weiß, wie Domains funktionieren, was der Unterschied zwischen IPv4 und IPv6 ist und warum das WWW nicht das komplette Internet ist.
- Ich war wegen vielem, was ich beim Bloggen lernte, auch eine Zeit lang Dozent (und lernte, dass das nichts ist, was ich hauptberuflich machen wollte).
- Ich habe auch eine beeindruckende Breite an Wissen in verschiedensten Themengebieten nebenbei bekommen. Einfach, weil ich so viele unterschiedliche Blogs lese bzw. gelesen habe.
- Blogger/innen sind Menschen, die etwas zu sagen haben. Jede/r auf ihre/seine Weise und natürlich nicht immer in dem Gebiet, das mich interessiert. Aber niemand schreibt (nachhaltig) über nichts.
- Ich lernte Geduld. Nicht alles funktioniert auf Anhieb und auch eine Leser/innenschaft muss man sich mühsam aufbauen.
- Ich lernte Demut. Andere können besser schreiben, besitzen die interessanteren Themen, haben mehr Erfolg, die spannenderen Kontakte, die aufregenderen TV-Auftritte und sehen auch noch besser aus.
- Ich fasste Mut. Durch das Bloggen musste ich lernen, Menschen anzusprechen – digital und analog. Und überhaupt, jeder einzelne persönliche Beitrag kostet Überwindung.
- Mit dem Bloggen kann ich auch ein bisschen das Bild über mich steuern. Nicht, dass da so viel zu steuern wäre und noch weniger, dass da nicht in zwanzig Jahren bestimmt einige peinliche Sachen zusammengekommen sind. Aber ich versuche natürlich immer, mich von meiner besten Seite zu zeigen und lasse die schlechten eher weg.
- Die Welt der Blogs ist unendlich. Noch nie ist mir der Lesestoff ausgegangen. Im Gegenteil muss ich immer mal wieder in meinem Feedreader alle Feeds auf „gelesen“ stellen, um überhaupt mal wieder die Chance zu haben, mitzukommen. Es tut jedes Mal körperlich weh.
- Ganz frisch habe ich gelernt, niemals Listen mit einer bestimmten Anzahl an Punkten bloggen zu wollen, wenn man nicht genug dafür hat.
- Und last but not least lernte ich: Es ist egal, ob es das oder der Blog heißt. Aber richtig ist natürlich das Blog.
📧 Lass dich über neue Beiträge per E-Mail informieren!
🐖 Du findest das hier gut? Wirf was ins Sparschwein meiner Kinder! Vielen Dank! 🫶
- Das vollmundige „Wir“ bezog sich auf mich und meine damalige Partnerin, die aber nicht viel beigetragen hat. Zeitweise führte sie stattdessen ein eigenes Blog. ↩
- Thomas ist übrigens einer derjenigen, die ich noch nie persönlich getroffen habe. Und trotzdem verfolge schon zwei Jahrzehnte, was er so macht. Kleine Teile des Weges gingen wir ja sogar zusammen. ↩
Sehr, sehr schön. Und nichts vergessen, wie mir scheint. Ich kann alles unterschreiben!
20 Jahre sind echt ein Brett. Ein Bier auf die nächsten 20!
(und natürlch heißt es das Blog)
[…] Es ist Mittwoch. (Ich habe extra im Kalender nachgesehen, weil ich es zurzeit nicht so mit Wochentagen habe.) Und könnte es einen besseren Tag zum Tagebuchbloggen geben als meinen 20. Bloggergeburtstag! […]
Schöne Idee mit den „20 Dingen ...“ Danke schön fürs Teilhaben lassen.
[…] Mirus, dessen Weblog 20 Jahre alt geworden ist, schreibt über Dinge, die er durch das Bloggen gelernt hat. Was er sagt, kann man als Blogger nur unterstreichen! – Dabei fällt mir ein, dass netbib ja […]
Herzlichen Glückwunsch und willkommen im Club. Hab mich in erstaunlich vielen deiner 20 Punkte wiedergefunden und denke in schwachen Momenten auch gerne an die naiven Anfänge zurück. Früher war nicht alles besser, aber manches einfacher.
Gruß aus Troisdorf einmal kurz übern Fluss.
Meine Glückwünsche zum 20. Geblogstag, ich hab da noch vier Jahre hin.
Weil es so selten geworden ist, dass Leute hier im Blog kommentieren: Vielen Dank euch allen, die auch diesen Teil wiederaufleben ließen! <3
Kommentarfunktion ist geschlossen.