Thomas Melle ist manisch-depressiv und verarbeitet das in seinem Buch „Die Welt im Rücken“1. Es ist eine Biografie, die versucht, die drei manischen Phasen, die Melle bisher an sich identifizieren konnte, einzuordnen, mit persönlichen Anekdoten zu untermauern und mit medizinischen Fakten zu füttern.
Die Begriffe meinten etwas anderes als bisher, aber ich war mir noch nicht sicher, was.
Ich bin auf das Buch beim Literarischen Quartett aufmerksam geworden. So tief wie einige meiner Bekannten stecke ich nicht im Literaturzirkus, dass mir der Name Thomas Melle spontan etwas sagte oder ich sogar in einem seiner Ausbrüche kontaktiert geworden wäre. Deshalb berührt mich das Buch auch nicht auf einer so persönlichen Ebene wie andere.
Es gibt keine Schuldigen, nur die Schuld, die als Abstraktum über mir schwebt, eine Art emergenter Entität, die nicht auf einzelne Menschen zurückführbar ist.
Das erste, was mir an Melles Schreibstil auffiel, war das übertriebene Verwenden höherer Sprache. Er streut Fremdwörter ein, wo es ihm auch nur möglich scheint; vermutlich, um besonders gebildet zu erscheinen. (So wie ich, wenn ich ein Semikolon setze.) Man merkt immer wieder, dass er auf Effekt schreibt. Wobei er es so stringent2 macht, dass man sich bald daran gewöhnt und flüssig lesen kann.
Delfine sprangen mir aus dem Mund, und farblose, grüne Ideen schliefen wieder furios.
Diese Sprache, dieser Stil machte es mir bis zum Ende schwer, ihm abzukaufen, dass er vollkommen ehrlich mit uns ist. Dabei deuten Indizien darauf hin. Er ist stellenweise schonungslos mit sich selbst und dem, was er angerichtet hat. Er schreibt davon, wie er Freundschaften, Beziehungen und letztlich auch Geld und Obdach verlor, weil die Krankheit es von ihm forderte. An manchen Stellen kann er aber auch nicht verhindern, damit zu prahlen, was für ein toller Hecht er ist. Vielleicht muss man das auch an seiner Stelle, um die Seele wenigstens noch ein wenig zu befrieden.
Ich habe das Buch mit Interesse gelesen, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, es ist eher ein langer Entschuldigungs- und Rechtfertigungsbrief für viele im Literaturbetrieb. Die Informationen dazwischen, was eine bipolare Störung ist, wie sie sich zeigt und welche Auswirkungen sie haben kann, waren dennoch lohnenswert.
Einem Mädchen, das Osama bin Laden für ihren Vater hielt, sagte ich auf den Kopf zu, dass das nicht stimme, dabei vermutete ich zu dem Zeitpunkt selbst, der Sohn des Popstars Sting zu sein.
- Thomas Melle: Die Welt im Rücken. 1. Auflage 2016, 352 Seiten. Kindle-Edition 16,99 €, gebundene Ausgabe 19,95 € (beides Amazon-Partnerlinks) ↩
- in sich stimmig, logisch, überzeugend ↩
Mit einer bipolaren Störung ein autobiografisches Buch zu schreiben, ist eine Angelegenheit, die mehr als zweischneidig ist. Im depressiven Zustand eine völlig andere Hintergrundstimmung als im manischen. Es ging mir genauso beim Lesen wie in Deiner Besprechung vermerkt: Ich hatte das Gefühl, für die Leser und etwaige Rezensenten musste einiges zurechtgerückt werden, dass sich, wahrscheinlich entgegen der Realität, eine nachzuvollziehendes, stimmige oder gar logische Landschaft ergäbe. An dieser Krankheit, die ein Stachel ist, kann man nichts zurechtrücken. Trotzdem: eine mutiges, tragisches. vielleicht sprachlich etwas zu überhöhtes Projekt des Autors.
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