In meinem bisherigen Leben bin ich ganze fünf Mal mit Polizisten in direkten Kontakt gekommen. Das ist wohl Ausweis meines bürgerlichen, angepassten Lebens. Oder reine Glückssache, je nach Sichtweise. Wie dem auch sei, es waren meistens eher unschöne Umstände, unter denen diese Kontakte stattfanden.
Mein letztes Zusammentreffen mit der Polizei habe ich sogar verbloggt. Es war die Geschichte mit der vermeintlichen Ermordung in der Nachbarswohnung. Eine Situation, in der ich einerseits ganz froh war, dass es eine Polizei gibt, andererseits nicht froh war, überhaupt auf sie angewiesen zu sein. Dafür können aber die Beamten nichts, die taten einfach ihren Job und ich fühlte mich von ihnen zwar nicht beruhigt, aber immerhin beschützt.
Das war bei meinem ersten Kontakt mit der Polizei anders. Ich war fünf Jahre alt und bin kurz davor in meinem Kettcar von einem Auto überrollt worden. Es passierte nicht viel. Das Schlimmste für mich war, dass der linke Vorderreifen meines Kettcars eine Beule hatte. Trotzdem hatte ich mich mächtig erschrocken und lief nach dem Unfall heulend zu meinem Eltern nach Hause. Einige Zeit später, mir war gerade meine nasse Hose gewechselt worden, kam dann die Polizei zu uns. Noch sichtlich beeindruckt von dem Unfall erlebte ich, wie die zwei grünen Männchen1 in unser Wohnzimmer kamen, sich mit meinen Eltern an den Esstisch setzen und den Unfall aufnahmen.
Ich wusste damals nicht viel von der Polizei, aber ich wusste eins: Vor ihnen hat man unbedingt Respekt zu haben. Ich versteckte mich folglich angsterfüllt hinter meiner Mutter.
Es vergingen sehr viele Jahre, bevor ich wieder in Kontakt mit der Staatsgewalt kam. Ich muss 18 Jahre alt gewesen sein, als nahe meines Wohnorts eine alte Autobahnbrücke gesprengt werden sollte. Ein großes Ereignis auf dem Land. Das Internet war 1998 noch nicht so weit, dass man sich über derartige Veranstaltungen näher informieren konnte und eine Tageszeitung besaß ich noch nie. Auch keiner meiner Freunde wusste, wann genau diese Sprengung stattfinden sollte, wir wussten alle nur, dass sie abends passiert.
Konsequenterweise beschlossen wir also, ein paar Bier einzupacken und dorthin zu fahren, wo man den besten Blick auf die Brücke haben kann. Nach etlichen Stunden des Wartens wurden wir ungeduldig. Wir wollten nähere Informationen. Wie gesagt, damals gab es kein Internet, geschweige denn Smartphones. Es musste also ein Mensch gefragt werden, der Ahnung hat. Wir einigten uns darauf, dass die Polizei Ahnung haben könnte und ich wurde eins-zu-viele überstimmt, dass ich derjenige sein soll, der sie fragt, schließlich war ich als Fahrer nicht nur als einziger noch nüchtern, sondern trug ja auch noch einen schicken langen schwarzen Mantel zu meinen langen nicht ganz so schwarzen Haaren.
Widerwillig ging ich also zu einem Polizisten, der mir auf den ersten Blick besonders sympathisch erschien.
„Entschuldigung!“ ging ich auf ihn zu. Er bemerkte mich, blickte mich abfällig von oben nach unten an und setzte ein schiefes Grinsen auf.
„Wissen Sie, wann hier die Brücke gesprengt werden soll?“
„Nicht genau, aber ganz bestimmt nicht vor 23 Uhr.“ Ich konnte seine oberen Zahnreihen deutlich erkennen, als er sich von mir ab- und seinen Kollegen zuwandte.
Ein Blick auf meine Armbanduhr2 verriet mir, dass es erst kurz nach 21 Uhr war. Zusammen mit meinen Freunden beschlossen wir, die Wartezeit in der nahen und vor allem warmen Behausung eines Crewmitglieds zu verbringen. Kaum dort angekommen hörten wir aus der Ferne das Echo einer gewaltigen Sprengung.
Mein drittes Aufeinandertreffen mit der Polizei war etwa ein Jahr später. Ein Klassiker. Ich war mit einem Freund etwas trinken. Ich war – wie so oft in meinem früheren Leben – der Fahrer, trank also nur Spezi3. Er tat das Gleiche, entweder aus Solidarität oder weil er einfach keine Lust auf Bier hatte oder aus anderen Gründen, die mir im Moment eigentlich egal sind.
Nach einigen vergnügten Stunden machten wir uns auf den Heimweg. Es war Herbst, die Scheiben beschlugen von innen und ich fuhr die ersten Meter im Blindflug. Wie man halt so fährt mit 19. Was ich nicht ahnen konnte: Ausgerechnet bei der Ausfahrt von der Kneipe hatte ich deshalb einen Wagen geschnitten. Einen Streifenwagen. Die Beamten machten kurzen Prozess, sie warfen Blaulicht und „STOP“-Schriftzug an, was ich durch die beschlagene Rückscheibe natürlich nicht erkennen konnte. Erst, als sie mit Lichthupe um Aufmerksamkeit baten, wies mich mein Beifahrer auf das begleitende Lichtkonzert hin.
Wie ich es in amerikanischen Filmen gelernt habe, kurbelte4 ich das Fahrerfenster hinunter und legte meine Hände gut sichtbar auf das Lenkrad.
„Ihre Papiere!“ bellte mich der Beamte an. Er hielt mir eine riesige Taschenlampe ins Gesicht. Sein dicker Bauch verriet, dass er sich ungern aus der Ruhe bringen lässt und sein Schnäuzer symbolisierte, dass er mit Leib und Seele Dorfpolizist ist. Ich tat also besser, wie mir befohlen wurde und händigte mit zitternden Händen die nötigen Dokumente aus. Ein Blick nach rechts verriet mir, dass seine Kollegin mit einer nicht mindergroßen Taschenlampe neben der Beifahrertür stand und meinem Freund illuminierte.
„Haben Sie was getrunken?“
„Ja.“
„Und was?“
„Nur Spezi.“
„Sind Sie sicher?“
„Ja, ich habe nichts mit Alkohol getrunken.“
„Jetzt lügen Sie mich doch nicht an! Ich kann es genau riechen!“
Mir war nicht so ganz klar, was er zu riechen vermochte, schließlich hatten weder ich, noch mein Freund nur einen Tropfen Alkohol zu uns genommen. Auch fuhr ich eher selten offene Bierdosen herum. In jüngerer Vergangenheit hatte ich nicht einmal Besoffene in meinem Wagen kutschiert. Es war mir also vollkommen schleierhaft, was Alfons Wachtmeister da gerochen haben will. Im Zweifel seine eigene Fahne, aber das möchte ich jetzt nicht unterstellen.
Überflüssig zu sagen, dass das anschließende Pusten null Komma null Promille ergab.
Ein paar Jahre später fand meine vorerst letzte Polizeibegegnung statt, die letzte vor der Schießerei. Ich ging gerade mit dem Hund und meinem Vater spazieren, ja, die Aufzählung ist in der richtigen Reihenfolge. Als wir so die Straße entlang schlenderten, fuhr plötzlich ein Streifenwagen auf gleicher Höhe mit. Ich bemerkte das im Augenwinkel, blickte aber stur geradeaus während ich die Hoffnung nicht aufgab, dass es sich entweder um einen Zufall oder eine Verwechslung handelte, die die Beamten sicherlich gerade per Funk aufklärten.
Dem war aber nicht so. Denn plötzlich fuhr das Beifahrerfenster herunter, ich konnte es ganz genau hören.
„Hallo!“ rief eine weibliche Stimme herüber. Mich durchfuhr ein kalter Schauer. Sie konnte unmöglich uns meinen. Oder etwa doch? Was haben wir denn falsch gemacht? Der Hund ist angeleint, wir laufen auf öffentlichem Grund unbescholten in angemessener Geschwindigkeit, haben keine Kreuzung ohne Linksrechtsblick überquert und auch kein Auto auf dem Weg aufgebrochen. Was um Himmels Willen will die Polizei von uns?
Ein Blick nach links brachte Aufklärung. Auf dem Beifahrersitz saß die beste Freundin meiner Schwester, frisch im Dienst und sichtlich stolz, in diesem Wagen sitzen zu dürfen. Sie winkte uns aufgeregt zu. Wenige Sekunden später, nachdem wir freudig und erleichtert ihren Gruß erwiderten, war sie auch schon wieder weg.
Esther und noch ein paar Bekannte, die ebenfalls im Polizeidienst stehen, haben mein Bild der Schutzmacht wesentlich stärker geprägt, als die ganzen anderen Erlebnisse. Das ist gut so, denn ich glaube, alles in allem machen die Polizistinnen und Polizisten in Deutschland einen guten Job. Sie sind unbestechlich und handeln streng nach Vorschriften. Das klingt nicht aufregend, aber seien wir ehrlich, ich möchte lieber in einem Land voller mürrischer, pedantischer und regeltreuer Polizisten leben, die einen auch ab und zu herablassend behandeln, als in einem Staat, in dem die Polizei entweder gar nicht, nur mit Bestechung oder viel zu gut funktioniert.
Dennoch hoffe ich, dass sich meine Erlebnisse mit der Polizei weiterhin auf einen eher harmlosen Vorfall im Jahrzehnt beschränken. Sicher ist sicher.
- Liebe Kinder, früher war die Polizei in Deutschland grün. ↩
- Liebe Kinder, früher trug man noch Chronographen ums Handgelenk, die einem die Uhrzeit verrieten. ↩
- Liebe Kinder, das ist ein Colamischgetränk. Nein, nicht mit Alkohol, mit Orangenlimonade. ↩
- Liebe Kinder, früher hatten Autos nicht serienmäßig elektrische Fensterheber. Man musste sie per Hand kurbeln. ↩
Und wie liefen die anderen drei Kontakte ab?
Die anderen drei? Wie? Was? Du verwirrst mich.
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