Ich hatte in den vergangenen zwei Tagen einen Zimmerkollegen (Bett links), der nur zur Nachkontrolle da war. Er hat schon sehr viel Zeit in diesem Krankenhaus verbracht, Kehlkopfkrebs. Wie viele Tage genau kann ich nicht sagen, seine Angaben steigerten sich von anfangs 40 auf zuletzt 47. Das ist aber auch egal, es geht darum, dass ich mir noch vorgestern nicht hätte vorstellen können, wie man länger als, naja, fünf Tage im Krankenhaus verbringen kann. Es schleicht sich jedoch eine gewisse Routine ein. Man wird aufgewacht, frühstückt, geht zum Absaugen, macht seine Morgentoilette, legt sich wieder hin, bisschen rumsurfen, dann ist schon Mittagszeit, Punkt 12 wird aufgetischt, danach surfen, Besuch der weltbesten Freundin, Abendessen um 17 Uhr, Tagebuch schreiben, Abendtoilette und dann Serien oder Filme vom Laptop oder auch mal ein wenig lesen. Es ist kein sehr abwechslungsreicher Tag, aber man fängt an damit zu leben und das Beste draus zu machen.
MORGEN DARF ICH HIER ENDLICH RAUS! RAUS! RAUS!
Hups, wo kam das denn jetzt her?
Puh, okay, noch einmal sammeln.
Natürlich arrangiert man sich, aber ich fühle mich fürchterlich eingesperrt und eingeengt hier und hätte ich keinen Internetzugang, ich wäre jämmerlich eingegangen. Ihr könnt nicht erahnen, wie glücklich ich bin, morgen hier raus zu dürfen, endlich wieder zuhause zu sein, dem Kater, der Katze und der Freundin mal über den Kopf zu streicheln, um mich dann aufs Sofa zu legen und das weiter zu machen, was ich in den letzten sieben Tagen auch im Großen und Ganzen gemacht habe: nicht viel.
Und damit zum heutigen Tag. Ich konnte es nicht glauben, der Chefarzt höchstpersönlich machte Visite. Sehr umgänglicher Typ. Wäre ich bestimmt auch, wenn ich gerade aus dem wahrscheinlich dreiwöchigen Urlaub zurückgekehrt bin. Ich scheine echt Glück mit der Auswahl meines HNO-Arztes gehabt zu haben, denn nicht nur der Russenarzt hat mir bestätigt, Dr. Stein wäre ein Guter, nein, der Chefarzt meinte zu mir, nachdem er den Namen hörte: „Ach, Dr. Stein! Dann brauchen Sie auch gar nicht mehr zum Folienentfernen hierher kommen, das kann er auch sehr gut, ich habe da vollstes Vertrauen.“ Cool.1
Ich hatte wieder Glück, der Russenarzt empfing mich zum Absaugen. Heute erzählte er mir keine Geschichten, heute war ich Zeuge einer immer intensiver werdenden Diskussion. Hierfür zunächst ein Schaubild:
Ich lag da also auf dem längs gemachten Stuhl, rechts von mir der Schrank mit allen Instrumenten, dazwischen auf Kopfhöhe der Russenarzt (1). Er nahm ein paar Absaugstutzen in die Hand und bemerkte, dass nicht alle zu unserer Station gehörten. Zufällig kam die Ärztin, die mich operierte, herein (2). Mit der Thematik konfrontiert wollte sie sich selbst von der Ungeheuerlichkeit überzeugen. Auf Fußhöhe zwischen mir und dem Schrank wühlte sie nach Instrumenten und konnte dabei nicht vermeiden, ab und zu gegen den Stuhl zu donnern. Der Russenarzt redete sich immer weiter in Rage; es könne ja nicht sein, dass die Ärzte ihre Instrumente mit in den OP nähmen, dort einfach liegen ließen und sie dann später einfach irgendwohin verteilt würden, was machten denn bitteschön die Instrument von Station 12 hier auf Station 10 und wo seien ihre eigenen Instrumente?! Just in diesem Moment stolperte ein mir unbekannter Arzt (3) hinein und positionierte sich zu meiner Linken. Wie es der Zufall wollte, war er von Station 12. Ich hatte einen Platz in der ersten Reihe für das Stück „Wer hat meine Instrumente geklaut? Und wieso?“. Anfangs war ich noch leicht amüsiert, aber als der Ton, trotz aller Sachlichkeit, schärfer wurde und erste Instrumente über mich hinweg hin und her gereicht wurden, begann mein Spaß an der Situation allmählich zu schwinden. Als der Station-12-Arzt irgendwann im Nachsatz endlich ein „der arme Patient“ unterbrachte, wurde die Diskussion mit einem Patt beendet.
Das heißt nicht, dass ich nicht noch eine Einführung in die Instrumentekunde bekommen hätte. Ich kenne jetzt eine Handvoll HNO-Instrumente, weiß deren Einkaufswert und bin mir nun sogar darüber im Klaren, dass alleine der Schrank 25.000 Euro kostet. Tja.

Ach ja, dann wurde ich tatsächlich auch noch behandelt. In Kurzform: Stopf, stopf, zieh, zieh, saug, saug, sprüh, sprüh.
Während ich endlich wieder aufstehen konnte, kam eine der nettesten Schwestern herein. Der Russenarzt brachte das Thema noch einmal in Kurzform zu Gehör, stieß auf volle Zustimmung und endete schließlich mit: „Füünf Monate. In füünf Monate Rente. Dann alles egal.“ „Ich auch“, lachte die Schwester.
Auf meinem Zimmer konnte ich heute nicht nur plangemäß den Mittelmann verabschieden, der mir in der vergangenen Nacht ein achtstündiges Abschiedskonzert gegeben hatte. „Tschü Miru“ verabschiedete er mich und mir fiel auf, dass wir uns tatsächlich nie mit Namen vorgestellt hatten, er kannte nur den, mit dem mich die Ärzte und Schwestern angesprochen hatten. Ein netter Kerl, aber ich werde weder sein Geröchel und Gespucke, noch sein Schnarchen je vermissen.
Auch der alte Herr verließ das Krankenhaus. Für ungefähr fünf Minuten hatte ich eine euphorische Hoffnung, für die letzte Nacht ein Einzelzimmer zu haben. Dann standen da in einer erschreckenden Effizienz zwei neue Betten mit zwei neuen Patienten, die beide heute noch operiert wurden. Ein älterer Mann, äußerst geschwätzig, und ein jüngerer Mann in meinem Alter, dem ich anfangs zutraute, den anderen in Sachen Redeschwall zu toppen. Nun, der Jüngere bekam einen Anruf, wurde sehr säuselig und ward seit Stunden nicht mehr gesehen, während der Ältere seit dem Abendessen nicht mehr stoppen ist. Erst quasselte er mit zwei verschiedenen Leuten am Telefon, dann mit mir, dann versuchte er, aufzustehen und kippte dabei beinahe nach hinten um, quasselte weiter, ging auf dem Gang spazieren, kehrte zurück, quasselte, ging in den Caféteria (Zucker!), kehrte zurück und quasselte.
Ich werde also den letzten Abend schon wieder mit Stöpseln in den Ohren verbringen müssen. Aber egal, denn
MORGEN DARF ICH HIER ENDLICH RAUS! RAUS! RAUS!
- Liebe Ärzte, wisst ihr eigentlich, wie ich auf diesen wohl hervorragenden HNO-Spezialisten gestoßen bin? Warum ich ausgerechnet ihn gewählt habe? Nein, er wurde mir nicht empfohlen, er hat auch seine Praxis nicht am nächsten zu meiner Wohnung oder steht in den Gelben Seiten ganz oben. Er tauchte schlicht bei Google auf der ersten Seite auf (Platz 10), als ich nach „HNO Bonn“ suchte, hatte dann eine angemessen gute, informative und aktuelle Website und vor allem auch die Möglichkeit, ebendort Termine unbürokratisch zu vereinbaren. Es ist so einfach! Gebt einfach mal ein paar Euro an einen fähigen Webdesigner, der sich noch ein wenig in Suchmaschinenoptimierung auskennt, und auf einmal bekommt ihr junge Patienten, die euch potentiell jahrzehntelang treu bleiben! ↩