Nicht wenig Zeit meines jungen Lebens verbrachte ich damit, Unter- und Mittelstufeschülern Nachhilfe in Mathematik zu geben. Ich hatte die Gesetze des Marktes schnell durchschaut. Die Zeitungsannonce schaltete ich im Herbst, so gegen Oktober oder November, wenn die ersten Tests katastrophal ausgefallen waren und die Eltern Panik bekamen. An diesen Samstagen klingelte das Telefon schon vor 8 Uhr das erste Mal und bereits im zweiten Jahr meiner Nachhilfstätigkeit musste ich voller Bedauern weitere Verpflichtungen aus zeitlichen Gründen ablehnen. Manchmal annoncierte ich auch in der Woche nach dem Zwischenzeugnis, das war erstaunlicherweise allerdings nicht so ergiebig.
Für 45 Minuten verlangte ich in meinem ersten Nachhilfejahr 15 D-Mark, bald danach schon 20, zum Schluss sogar 30 Mark, wobei das dann tatsächlich ein Betrag war, bei dem einige interessierte Eltern meine Dienste ablehnten. Ich gab an vier Tagen die Woche Nachhilfe, nur mittwochs nicht, da wollte ich ausspannen. Pro Tag waren es zwei bis drei Termine. Ab und zu hatte ich auch einen Samstagskandidaten, manchmal musste ich auch Blockunterricht geben, weil eine wichtige Prüfung bevorstand.
Die meisten Nachhilfeschüler behielt ich bis zu den Sommerferien, nur wenige blieben über das Zeugnis hinaus meine Geschäftspartner. Die Eltern dachten sich wohl häufig, dass der Sohn oder die Tochter keine Nachhilfe mehr nötig hätte, sobald die gewünschte Versetzung erreicht war. Andererseits gab es dann auch die Eltern, die so glücklich über die messbare Verbesserung ihres Kindes waren, dass sie noch Hilfe in weiteren Fächern erbaten, weshalb ich in seltenen Fällen erst eine Dreiviertelstunde Mathe- und danach noch einmal so lange Englisch-, Deutsch- oder Physiknachhilfe gab.
Ich verdiente in diesen paar Jahren nicht schlecht, aber den größten Fisch hatte bereits in meinem ersten Jahr der Nachhilfetätigkeit an der Angel. Auf meine Annonce meldete sich damals ein Mann. Er gab an, ehrenamtlich für einen Flüchtlingsverein tätig zu sein und in dieser Funktion schulische Hilfe für zwei Schwestern zu suchen, die zusammen mit ihren Eltern aus dem Kosovo geflohen waren. Sie sollten in Mathematik, Deutsch und Englisch unterrichtet werden, Hauptschulniveau, fünfte und siebte Klasse.
Er kam einige Tage später persönlich bei mir vorbei. Ein älterer Herr, um die 50 Jahre alt, grauer Schnauzbart, wohlbeleibt. Er setzte sich an meinen Tisch, lehnte sich behäbig zurück und stellte mir ein paar Fragen. Keine fachlichen, sondern nur, ob ich genügend Zeit aufbringen könnte, die beiden Schützlinge zwei- bis dreimal pro Woche in Doppelstunden zu unterrichten und dergleichen. „Kein Problem!“, sagte ich zu allem. Dann zückte er sein Portemonnaie, nestelte einen Eintausendmarkschein heraus und überreichte ihn mir. Das sollte wohl für die nächsten Monate reichen. Ich überschlug die Rechnung kurz im Kopf, mein Blick war allerdings von den Dollarzeichen in den Pupillen schon leicht getrübt.
Der Start der Unterrichtsreihe war in der Folgewoche. Die beiden Mädchen wurden vom Herrn in seinem E-Klasse-Mercedes abgeliefert, er verschwand und ich begann mit sehr zähen neunzig Minuten Deutsch- und Englischunterricht. Die Herausforderung war, beiden Mädchen gerecht zu werden, obwohl sie zwei Jahre auseinanderlagen, entsprechend völlig unterschiedlichen Stoff zu bewältigen hatten. Während ich der einen eine Aufgabe gab, versuchte ich der anderen etwas zu erklären und vice versa. Erschwert wurde das alles natürlich noch durch die schlechten Deutschkenntnisse. Nach Ende der Doppelstunde bedankten sich die Mädchen artig und entschwanden.
Am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf. Man wollte mich nicht mehr als Nachhilfelehrer, ich sollte die eintausend Mark zurückgeben, abzüglich der vier geleisteten Stunden natürlich. Was soll ich sagen, ich war 18 Jahre jung und hatte ein paar Tage davor einen Tausi erhalten. Natürlich war das erste, was ich machte, damit in den nächsten Laden zu gehen und mir einen sündhaft teuren Fernseher zu kaufen (16:9, Baby!). Ich erklärte also, dass ich das Geld nicht zurückzahlen könne, auch nicht wolle, wir hätten schließlich eine Vereinbarung und ich wäre bereit, meinen Teil davon zu erfüllen. Blanke Panik war in meinem Hinterkopf, schließlich hatte ich keine Ahnung, wie ich das Geld auftreiben sollte. Nach einigem Hin und Her und einem kurzen Briefwechsel, in der mir immer weiter gedroht wurde, war ich letztlich damit einverstanden, die Schulden in monatlichen Raten à 50 D-Mark abzustottern.
Ich richtete also einen Dauerauftrag ein. 50 Mark wurden pro Monat auf das private Konto des Herrn überwiesen. Aber schon nach wenigen Monaten kamen die Überweisungen wieder zurück, das Konto auf der Gegenseite war aufgelöst und weder telefonisch, noch schriftlich war der Flüchtlingshelfer oder sein Verein zu erreichen. Ich stellte die Zahlungen also ein.
Für mich war das damals ein super Geschäft. Ich bekam für eineinhalb Stunden Arbeit etwa 800 Mark, das war schon ein ordentlicher Stundenlohn. Zumal ich auch den Ausfall schnell durch neue Nachhilfeschüler kompensieren konnte. Ich bin aber bis heute unschlüssig, wie ich die ganze Situation zu bewerten habe. Der Verein, das ergaben spätere Nachforschungen, hat nie offiziell existiert, die Adresse gab es nicht und auch die Privatadresse des vermeintlichen Helfers, die ich durch die Briefwechsel hatte, war nicht die seine. Was auch immer da gelaufen ist, ich fürchte, es war nicht zum Wohle der beiden Flüchtlingskinder.
Gelernt hatte ich aus der Episode vor allem, mir keinen Vorschuss mehr auszahlen zu lassen. Ich ließ mir in der Folge stets im Anschluss an eine Nachhilfestunde die Bezahlung bar aushändigen.
Den Fernseher, den ich mir von dem unrechtmäßig erworbenen Geld kaufte, sollte mich übrigens über zehn Jahre lang begleiten. Bei jedem Einschalten erinnerte ich mich, auf welche Weise er zu mir gefunden hatte.
Foto: (cc) eriwst via photopin
Ich finde Deine Erzählweise sehr gut und unterhaltsam. Ich lese regelmäßig die Beiträge hier..
Ich denke dieser Mann wollte einfach Schwarzgeld waschen..
Aber mit so einem Betrag, hätte er wahrscheinlich einige Nachhilfelehrer kontaktieren müssen..
Danke für das Lob!
An das Schwarzgeld habe ich auch lange geglaubt, sehe das aber mittlerweile auch so wie du. Wäre zumindest ganz schön aufwendig. ;)
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