Die Nacht hat­te ich kaum geschla­fen, der Mit­tel­mann schaff­te es, mich mit manig­fal­ti­gen Aktio­nen wach­zu­hal­ten (essen, trin­ken, ekli­ge Geräu­sche machen, schnar­chen). Den­noch war ich recht beschwingt, als wir gegen 8 Uhr wie gewöhn­lich geweckt wur­den. Mei­ne Nase war eini­ger­ma­ßen zu, aber hey, sie rann auch nicht mehr wie ein Was­ser­fall. Zur Freu­de des Tages gönn­te ich mir statt des Stan­dard­ka­mil­len­tees eine Tas­se Kaf­fee. Mein Plan war so sim­pel wie geni­al: Schön gemüt­lich früh­stü­cken, dann zurück­leh­nen und den Tag rumbringen.

Der Plan wur­de durch­kreuzt. Heu­te muss Mon­tag sein, denn der Ober­arzt mach­te sei­ne Visi­te. Ob alles gut wäre. Ja klar, sicher. Und dann kam der fata­le Satz, schon halb im Hin­aus­ge­hen an den Mit­tel­mann und mich: „Gehen Sie bei­de bit­te gleich noch­mal zum Absaugen!“

NEEEEEEEEIIIIIIIIIIIN!!! NICHT SCHON WIEDER DAS FOLTERINSTRUMENT! BITTE NICHT! WÄÄÄÄÄH!

Zunächst aber eine Exkur­si­on. Der Mit­tel­mann, ich erwähn­te es even­tu­ell schon, hat nur ein­ge­schränk­te Deutsch­kennt­nis­se. Das bedingt, dass er nur die Hälf­te von den Sachen ver­steht, die man ihm so sagt. Ich fra­ge mich schon län­ger, war­um er sich nicht wenigs­tens von sei­nem Sohn, der ast­rein sowohl Tür­kisch, als auch Deutsch spricht, über die Behand­lung auf­klä­ren lässt oder ihn als Dol­met­scher nutzt. Wenn er sich schon nicht traut, ein­fach mal nach­zu­fra­gen. Auf der ande­ren Sei­te aber auch ganz klar: Das Kli­nik­per­so­nal gibt sich mit ihm wesent­lich weni­ger Mühe als bei­spiels­wei­se mit mir. Nur so konn­te es pas­sie­ren, dass der Mit­tel­mann seit dem Zie­hen sei­ner Tam­po­na­den noch kein ein­zi­ges Mal bei der Absau­gung war, obwohl das schon drei Tage her ist. Wäre es nicht das Min­des­te, eine ver­damm­te Lis­te zu füh­ren, auf der man ein ver­kack­tes Häk­chen hin­ter einen Namen setzt, wenn er eine Behand­lung absol­viert hat und mal nach­zu­fra­gen, wenn das nicht gesche­hen ist?

Der Mit­tel­mann wuss­te nichts davon, dass man abge­saugt wird, er hat auch heu­te den Ober­arzt nicht ver­stan­den und es ent­stand dar­auf­hin fol­gen­de Dis­kus­si­on zwi­schen uns:

Ein erstes, zaghaftes Lächeln
Ein ers­tes, zag­haf­tes Lächeln

Wir müs­sen jetzt zum Absau­gen. Kommst du mit?“

Wer?“

Wir.“

Du?“

Wir.“

Okay.“

Exkur­si­on Ende.

Heu­te war zufäl­li­ger­wei­se genau die Ärz­tin am Schre­ckens­in­stru­ment, die mich auch ope­riert hat. Ich bat um Nach­sicht: „Wenn es denn heu­te wenigs­tens nicht blu­tet!“ „Hat es denn die letz­ten Male geblu­tet?“ „Ja, bei­de Male!“ „Aber das ers­te Mal war das Tam­po­na­de­zie­hen, das blu­tet immer.“ (Na und, war trotz­dem blöd. Pah.)

Sie kommt also mit dem Gerät an, macht im Gegen­satz zu ihren Vor­gän­gern über­haupt kei­ne Anstal­ten, noch ein­mal kurz nach dem Rech­ten zu sehen, son­dern saugt direkt los. Wäh­rend ich völ­lig unvor­be­rei­tet in eine Situa­ti­on stür­ze, in der ich mir über­le­ge, ob die­ses Mal viel­leicht wirk­lich ein Stück Gehirn am Ansaug­stut­zen kle­ben bleibt, wer über­haupt auf die Idee kommt, so ein Gerät zu ent­wi­ckeln, wie­so der bescheu­er­te Ober­arzt aus­ge­rech­net heu­te Visi­te mach­te, ob ich eine schö­ne Lei­che abge­be und wie schlau es war, die­ses Mal wenigs­tens vor­her gefrüh­stückt zu haben – war es schon wie­der vor­bei. Kei­ne lan­ge Pro­ze­dur, kein Rum­ge­sto­che­re im Hin­ter­kopf­be­reich, kein Blut. Sie konn­te sich ein Grin­sen nicht ver­knei­fen, als sie mir ein Tuch reich­te: „Für den Fall, dass es doch noch anfängt zu bluten.“

Ich soll­te mal über­prü­fen, ob ich frei atmen kann. ICH KONNTE FREI ATMEN! Seit fünf Tagen über­haupt wie­der durch die Nase, seit vie­len, vie­len Jah­ren durch bei­de Nasen­lö­cher gleich­mä­ßig. Leu­te, ich brau­che kei­ne Dro­gen mehr, das war das schöns­te Gefühl, das ich seit lan­ger Zeit hatte.

Das war nur eine gute Stun­de der Fall, dann füll­ten sich die Neben­höh­len wie­der nach und nach. Klar, da ist Plas­tik auf bei­den Sei­ten der Nasen­schei­de­wand, um sie zu sta­bi­li­sie­ren, das sind Fremd­kör­per, die müs­sen weg­ge­schleimt wer­den. Aber es ist trotz allem ein rie­si­ger Fort­schritt, der mich enorm gefreut hat. Zum ers­ten Mal habe ich gemerkt, dass die­se gan­ze OP-Scheiße tat­säch­lich einen Sinn hat. So schön.

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