Das Liegen war für Ilja Iljitsch weder eine Notwendigkeit, wie für einen Kranken oder einen Schläfrigen, noch eine Zufälligkeit, wie für einen Ermüdeten, noch ein Vergnügen, wie für einen Faulen: es war sein normaler Zustand.
Oblomow ist der Erfinder der Prokrastination. Er ist ein wohlhabender Gutsherr im ausgehenden 19. Jahrhundert, der weit weg von seinem Gut in Petersburg lebt und seine Tage damit verbringt, sie herumzubringen. Ilja Iljitsch Oblomow schafft nichts und trotz aller Versuche von Freunden verschiebt er alles so lange, bis keiner mehr danach fragt. Er lässt sich übers Ohr hauen, weil er sich nicht kümmert und wenn er es merkt, kümmert er sich immer noch nicht. Nur, als er Oljga kennenlernt, blüht er kurz auf, nimmt sich tatsächlich vor, Dinge anzupacken – und findet dann doch wieder Gründe, es sein zu lassen.
Ich wäre niemals auf dieses Buch1 gestoßen, hätte Maximilian Buddenbohm es nicht so ausführlich empfohlen. Die liebevollen Charakterbeschreibungen, die von genialen Dialogen begleitet werden, machen es sehr rund. Man bekommt Mitleid mit dem Mann, der sich immer wieder aufraffen will, aber es dann doch nicht schafft. Ein Produkt einer fehlgeleiteten Erziehung, schon als Junge wurde er verhätschelt, hatte immer Dienstboten um sich herum, musste sich nicht einmal die Schuhe selbst anziehen. Man leidet mit Stolz, seinem Freund, der immer wieder versucht, ihm einen Tritt in den Hintern zu geben. Man wird sauer auf die, die Oblomow übers Ohr hauen, die seine Antriebslosigkeit ausnutzen. Und überlegt sich dabei, warum man eigentlich mit jemanden leidet, der sein ganzes Leben lang nie etwas geleistet hat, der mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde, der nie einen Finger krumm machen musste und dennoch ein Leben führt, dem es an nichts mangelt.
Iwan Gontscharow ist zweifelsohne ein Meisterwerk gelungen, aber das ist ja sowieso unstrittig. Es war prägend für seine Zeit und der Begriff „Oblomowerei“ hielt Einzug in den russischen Sprachgebrauch. Das Buch hat manchmal seine Längen, bei denen ich fast versucht war, ein paar Absätze zu überspringen. Die Dialoge sind zwar immer fantastisch, die Charakter- und Zustandsbeschreibungen jedoch gehen mir manchmal zu sehr ins Detail. Dennoch, alles in allem kann ich das Buch sehr empfehlen und mit der Kindle-Version für 0,99 Euro kann man ja eigentlich nicht viel falsch machen.
★★★★✩
- Iwan A. Gontscharow (Autor), Clara Brauner (Übersetzerin): Oblomow. 680 Seiten. Gibt es als Kindle-Version für 99 Cent, als gebundene Ausgabe für 24,90 Euro oder als Taschenbuch für 13 Euro (Übersetzer: Reinhold von Walter). (Bei Kauf über einen der Links bekomme ich ein paar Cent Werbekostenerstattung.) ↩
[...] für J. D. Salingers Der Fänger im Roggen und Iwan Gontscharows Oblomow (den ich erst kürzlich seiner Besprechung wegen auf meine Wunschliste setze). Ich bin vor Freude schier aus dem Häuschen! [...]
[…] war ein Geschenk von Johannes. […]
Seit fast einem dreiviertel Jahr lese ich nun an diesem Buch und erkämpfe mir Seite für Seite. 40 hab‘ ich noch vor mir. Danke, Johannes, für die Möglichkeit, meine Beharrlichkeit und Leidensfähigkeit zu testen. :)
Jederzeit gerne! ;) Ich finde ja immer noch, dass das ein sehr gutes Buch ist. Gerade weil man sich stellenweise durchkämpfen muss.
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