Ich kündigte diese Rezension schon an. Auf meinem Nexus 7 ist zufälligerweise das Buch „Aus dem Leben eines Taugenichts“1 von Joseph von Eichendorff installiert. Eines gemütlichen Tages war ich zu faul gewesen, nach Beendigung meiner bisherigen Literatur vom Sofa aufzustehen, also touchte ich mal auf das Buch und fing an, darin zu lesen. Es war demnach ein glücklicher Umstand, der mich zu diesem Werk brachte.
Von der ersten Seite an war ich begeistert. Und zwar von vielen Faktoren. Zunächst von der fast zweihundert Jahre alten (Schrift-)Sprache, die mich faszinierte. Dieser höfliche Umgangston, der zumindest aus meiner heutigen Sicht so erscheint, diese niedlichen Hs hinter den Ts (wie bei Thür, That, Muth) und die vielen Kleinigkeiten, die bei der Rechtschreibreformation um die Jahrhundertwende 1900 geschliffen wurden, so dass man ihnen ihre meist französische Herkunft heute nicht mehr ansieht. Derart begeistert wechselte ich schnell von der mittels OCR eingelesenen Version auf die Originalscans in Fraktur, um noch näher dran zu sein.
Ich fasste ihn, wie außer mir, bei der Brust und sagte: „Vortier, jetzt schert Ihr Euch nach Hause, oder ich prügele Euch hier sogleich durch!“
Was mich natürlich noch mehr begeisterte war die Geschichte. Die schönste Sprache, die besten Dialoge und die coolste Schrift können ja nicht die rund 130 Seiten tragen. Was, nur 130 Seiten? Ja, tatsächlich, die Erzählung schreitet verdammt schnell voran. Es war eine richtige Wohltat, so pointiert etwas lesen können, wo doch heute so vieles nur quantitativ gemessen wird. Gerade im Buchbereich habe ich schon öfter Sachen gehört wie: „Was, achtneunundneunzig für läppische dreihundert Seiten?“ Überraschung, darauf kommt es nicht an! Ich lege keinen Wert auf einen aufgeplusterten Roman à la Frank Schätzing2, auch wenn bei einem E-Book das Gewicht nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.
In dem Garten war schön leben, ich hatte täglich mein warmes Essen vollauf, und mehr Geld, als ich zum Weine brauchte, nur hatte ich leider ziemlich viel zu thun.
Wo war ich? Ach ja, bei der Geschichte. Die ist toll. Es geht um einen Typen, dessen Namen man im gesamten Buch nicht erfährt, der die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt und faul ist. Jedenfalls denkt das sein Vater, der Müllermeister, der ihn weg schickt, damit er ihm wenigstens nicht mehr auf der Tasche liegt. Und so zieht der Kerl los, nur mit seiner Geige bewaffnet, und schlägt sich so durch. Er ist eine Lebemann, man würde heute vielleicht sogar sagen, er wäre ein Lebenskünstler. Der Zufall hilft ihm immer wieder, er bekommt sogar ohne es zu wollen einen angesehen, gut dotierten Job, verliert ob einer unglücklichen Romanze aber wieder die Lust daran und zieht mit Umwegen gen Rom. Hier und dort erlebt er Sachen und kehrt schließlich wieder zurück, wo es dann ein Happy End gibt, das von Eichendorff wohl jeder Lektor rausstreichen würde, wollte er sein Buch in diesem Jahrhundert veröffentlichen.
In der Wikipedia steht, die Geschichte zeige die unterschiedlichen Lebensauffassungen von Romantikern, die wie der Erzähler in den Tag hinein leben, und den Philistern, die „ein bodenständiges, eintöniges und pedantisches Spießbürgerdasein fristen“ und Moralpredigten hielten. Dass die Romantiker immer Oberwasser haben, macht das Buch erst so richtig fluffig.
„Parlez vous français?“ sagte ich endlich in meiner Angst zu ihm. Er schüttelte mit dem großen Kopfe, und das war mir sehr lieb, denn ich konnte ja auch nicht Französisch.
Nicht zuletzt zeigt die Novelle, dass man manchmal Zeit benötigt, das zu finden, was einem wirklich liegt. Der Vater hätte sicherlich gerne gesehen, dass der Erzähler wie er das Müllerhandwerk erlernt. Es scheint aber wohl so zu sein, dass dem Erzähler ein Talent gegeben wurde, Menschen mit seiner unbekümmerten, verbindlichen Art und seinem Geigenspiel zu fesseln. Das festzustellen konnte ihm aber nur gelingen, indem er hinauszog, neue Menschen kennenlernte, Erfahrungen sammelte und so herausfinden konnte, was er vom Leben erwartet und was er zurückgeben kann.
Was der Mensch doch nicht Alles erfährt, wenn er sich einmal hinterm Ofen hervormacht.
Das Buch könnte man problemlos in die heutige Zeit portieren. Vielleicht ist es das, was mich daran am meisten begeistert hat.
- Das Buch gibt es kostenlos für den Kindle und Kindle-Apps oder aus dem Google Play Store für Android-Geräte sowie in der ordinären Taschenbuch-Version (Affiliate-Link, bei Bestellung bekomme ich ein paar Cent). ↩
- Der Roman „Limit“ bringt es auf über 1300 Seiten. Laut meiner persönlichen Rezensentin sind davon 1200 nutzloses Füllmaterial. ↩