Sehen wir mal den Tatsachen ins Auge: Egal, was wir wählen, es wird keine Bewegung in irgendeine Sache bringen. Dass Mama Merkel uns weitere vier Jahre einlullen wird, das ist nach dem heutigen Stand so gut wie beschlossen. Die Frage, die noch im Raum steht, ist einzig, mit wem sie gemeinsame Sache macht. Natürlich wäre die FDP immer noch ihre erste Wahl, aber ob es nach dem Niedersachsen-Disaster noch genügend taktische Wähler gibt, um eine schwarz-gelbe Mehrheit zu erhalten, ist fraglich und hängt wohl auch von dem Ausgang der Bayern-Wahl ab. Deshalb haben sich weder die Union, noch die SPD glaubhaft von der Idee einer Großen Koalition distanziert.
Natürlich muss ich solche Begebenheiten nicht klaglos hinnehmen. Ich habe zwar nur eine Erst- und eine Zweitstimme, aber ich werde sie nutzen. Und weil ich lange darüber nachgedacht habe, wen ich wählen soll, und weil ich die Gründe für meine Entscheidung hier transparent mache, hoffe ich, dass mir die eine oder andere geschätzte Leserin in meiner Einschätzung folgt.
Die Parteien
Die Union ist unwählbar. Was in den letzten acht Jahren passiert ist, ist für jemanden, der den digitalen Wandel mitgestalten möchte, unerträglich. Vorratsdatenspeicherung, Leistungsschutzrecht, aber auch Betreuungsgeld und ermäßigter Steuersatz für Hotelübernachtungen – das sind nur wenige Beispiele für völlig vermurkste Vorstöße, die die Union initiiert oder aus Koalitionsgründen stoisch vorangetrieben hat. Der Abhörskandal um Prism, Tempora und so weiter hat erst wieder deutlich gemacht, wo CDU/CSU ihre Prioritäten sehen: in der Erhaltung der Macht, sonst nichts. Das „Supergrundrecht“ Sicherheit wird über alle anderen Grundrechte gestülpt und dient als Fassade für die Einengung der persönlichen Freiheit eines jeden Bürgers. Niemand, der bei politischem Verstand ist, kann die Union wählen. Weil sich aber Gerdanormalbürgerin nicht für diese brisanten Themen interessiert, sondern hauptsächlich Sorge hat, dass man ihr die tägliche Portion Fleisch verbieten könnte, kann Merkel es sich ohne Weiteres leisten, einen Nicht-Wahlkampf zu machen. Jeder Aktionismus wäre schließlich kontraproduktiv.
Das bekommt vor allem die SPD in persona Peer Steinbrück zu spüren. Der Oppositionskandidat kann es sich im Gegensatz zur Amtsinhaberin nicht erlauben, den Wahlkampf auszusitzen. Da Steinbrück aber keine Unterstützung von seiner Partei erfährt, passieren ihm Pannen. Die sind natürlich ein gefundenes Fressen für die Journaille, die ja wenigstens irgendwas berichten muss. Dass eine Regierung unter Steinbrück und Ministern aus der aktuellen SPD-Führungsriege besser funktionieren könnte, als die jetzige, ist zweifelhaft. Zu deutlich sind noch die Erinnerungen an die Regierung Schröder, die mit sehr vielen sozialdemokratischen Gewissheiten gebrochen hat. Und Steinbrück ist kein Sozi, das wissen wir aus seiner Zeit als Finanzminister. Er wird perspektivisch mehr Zeit damit zubringen, die innerparteilichen Querelen auszukämpfen, als die Zukunft Deutschlands und Europas zu gestalten.
Die Grünen sind immer noch unwählbar. Eine Partei voller Opportunisten, die Wasser predigen, aber dann still beim Verteilen des Weins zusehen und auch selbst mal dran nippen, die kann man nicht ernsthaft unterstützen. Die Grünen haben in den letzten fünfzehn Jahren immer wieder bewiesen, dass sie für Macht Prinzipien opfern. Das ist nichts ungewöhnliches in der Politik, aber die Grünen sind die einzigen, die so tun, als träfe das auf sie nicht zu. Trotz Kriegseinsätzen in Jugoslawien, trotz Hartz-Gesetzen, trotz Stuttgart 21 – nie hat ein Grüner mal gesagt: „Entweder nach unserem Willen oder ich gehe!“ Das Personal, das zur Wahl 2013 antritt, war größtenteils schon 1998 an den Schalthebeln der Partei; nichts drückt die Wandlung einer Protestpartei in einen Haufen wertkonservativer Ideologen besser aus.
Apropos Ideologien. Wie kann man eine Partei wählen, die gar keine hat? Wer sich wie die FDP einzig durch Lobbyisten und Wirtschaftsvertreter steuern und das einzige Ideal, das die Partei mal hatte – Bürgerrechte – durch eine einzige Person vertreten lässt (und selbst das nur gegen heftigen, parteiinternen Widerstand), der hat es nicht einmal verdient, dass ich darüber nachdenke, meine wertvolle Stimme für ihn abzugeben. Witzfiguren wie Brüderle, Rösler, Bahr und Westerwelle haben in der Regierung nichts verloren. Ich sehe bis auf SLS auch keine Personen in dieser Partei, die sie ersetzen könnten.
Wenigstens hat die FDP aber noch Personen. Die Piratenpartei hingegen ist eine amorphe Masse von meckernden, alles besser wissenden Twitterern, die sich vornehmlich damit auseinandersetzen, sich mit ihren eigenen Auseinandersetzungen auseinanderzusetzen. Ich schätze den Wind, den die Piraten einst in die Parteilandschaft gebracht haben und ich bin froh, dass zwanzig von ihnen in Nordrhein-Westfalen mitreden dürfen. So richtig weiß ich aber sonst nichts von ihnen. Sie sind eine Partei aus dem Netz für das Netz, okay. Aber was heißt das konkret? NSA blöd, Vorratsdatenspeicherung doof, alles klar. Und weiter? Welche Ansätze gibt es, die Massen davon zu überzeugen, dass Freiheit auch ein Supergrundrecht ist – auch und vor allem im Netz? Wie erklärt die „Internetpartei“ den Bürgern, dass sie nicht nichts zu verbergen haben? Und vor allem: Warum sollte ich eine in meiner Wahrnehmung monothematische Partei wählen?
Die Entscheidung
Weil es geht. Ich habe mir wirklich in den fünfzehn Jahren, in denen ich mein Wahlrecht immer wahrnahm, das erste Mal ernsthaft überlegt, nicht wählen zu gehen. Aber die Argumente, dass sich ja sowieso nichts ändere, dass jede Stimme letztlich verschenkt wäre – sie sind nichts wert. Ich habe eine Stimme und es ist etwas Besonderes, dass ich in einem Land leben darf, in dem das so ist. Eine Schande wäre es, diese Errungenschaft zu verschenken. Wir sehen zurzeit in Syrien oder Ägypten, wie es anders laufen kann. Dennoch – nein, gerade deswegen will ich es nicht hinnehmen, dass man mir das Wertvollste nimmt, das unser Gesellschaftssystem zu bieten hat: meine Freiheit.
Meine Wahl erfolgt deshalb aus einer Mischung aus Taktik und Überzeugung. Meine Erststimme geht an die SPD, weil ich mit der Erststimme nicht viel mehr bewirken kann, als auf einen Wandel zu hoffen. Vielleicht verhilft Ulrich Kelber (wieder) zu einem verbesserten Wahlergebnis der SPD, um letztlich dazu beizutragen, Angela Merkel einen ruhigen Renteneintritt zu bescheren.
Meine Zweitstimme bekommen die Piraten. Trotz allem ist sie die Partei, die meine Interessen und Überzeugungen in den meisten Punkten vertritt. Ich glaube nicht, dass es dieses Mal schon für den Bundestag reicht und ich bin nicht sicher, ob ich das überhaupt gut fände. Andererseits wäre es genau jenes Signal an die Regierung, das ich mir erhoffe: Passt auf, ihr etablierten Berufspolitiker, da gibt es eine Generation in Deutschland, die sich nicht mehr von euch einlullen lässt, die es sich nicht mehr bieten lässt, dass ihr die Freiheit beschneidet, die Souveränität unseres Landes preisgebt und die Einheit Europas gefährdet.
Abspann: Das sagt der Wahl-O-Mat
Der Wahl-O-Mat verkündet mir, ich solle die Grünen wählen. Da aber die Piraten dicht darauf folgen, werde ich deswegen wohl nicht mehr meine Entscheidung ändern müssen. (Puh, Glück gehabt.)
[…] ich muss noch einmal politisch werden. Ich bin kein SPD-Wähler, ehrlich gesagt habe ich diese Partei noch nie […]
Kommentarfunktion ist geschlossen.